Vor ca. einer Woche hatte ich eine weitreichende Erkenntnis, die einen bedeutenden Aspekt von mit betrifft. Ich kenne ihn natürlich schon viele Jahre, er ist nicht zu überhören oder zu übersehen, doch diesmal wurde mir seine weitreichende Bedeutung in vollem Umfang bewusst. Er hat auch schon lange einen Namen, ich nenne ihn den Totschläger, und dieser Name wird ihm auch gerecht.
Letzte Woche also fand ich mich wieder einmal in einer Schleife der Rechtfertigung wieder. Am Mittwoch stand ein wichtiger, aber harmloser Termin bevor. Es ging um die Vertragsverlängerung für meine Wohnung. Die Hausverwaltung hatte einen Besuch bei mir angekündigt, um zu sehen, ob ich die Wohnung irgendwie herunter gewirtschaftet hätte, was natürlich nicht der Fall war. Sie wollten einfach wissen, ob der Verlängerung des Mietvertrags irgendwas im Weg stand.
Ein völlig harmloser Termin, bei dem der Ausgang im Vorhinein feststand. Doch mein lieber Totschläger nahm diesen Termin wieder einmal zum Anlass, um ein paar seiner Register zu ziehen. Er erschien mir in Gestalt eines Mitarbeiters der Hausverwaltung, der alles in Grund und Boden kritisierte. Er machte mir vor, was ich alles tun müsste und was mir alles untersagt wäre, dass meine Wohnung unordentlich und dreckig wäre und ich überhaupt praktisch kein Recht hätte, hier zu wohnen. Und schließlich, dass ich es überhaupt nicht wert wäre, diese Wohnung zu haben. (Kurzversion. Die Langversion klang wirklich übel.)
Ich muss dazu sagen, dass ich meinen Totschläger durchaus beachte, wenn er sich meldet, ich ihm aber nicht glaube und ihm nicht folge. Ich versuche also nicht, ihn zu ignorieren, wegzuschieben, oder gar zu bekämpfen. Er ist da, wenn er da, ist, und ich respektiere das. Punkt.
Und als mich der Totschläger gerade völlig zur Sau machte, fiel mir etwas auf. Das mit dem Wert war hängen geblieben. Mir fiel auf, dass ich meinen Selbstwert schon seit gefühlten Ewigkeiten nicht von anderen Menschen abhängig mache. Was andere über mich denken und sagen, ist mir völlig egal. Es ist mir allerdings nicht ganz egal, was diese innere Stimme plappert. Der Totschläger hat also durchaus eine Wirkung auf mich, noch immer.
Ich muss dazu sagen, dass Dinge, die ich schon vor langer Zeit abgehakt hatte, nicht mehr in meinem Bewusstsein präsent sind. Somit war die Sache mit dem Selbstwert eine neue Erkenntnis für mich. Natürlich erinnerte ich mich gleich wieder daran, es war in der ersten Jahreshälfte 2010, als das Selbstwert-Thema hochgekommen ist und ich es durchgekaut und ausgespuckt habe. Ich erinnerte mich auch, dass ich ein paar Jahre später wieder das Gefühl hatte, dass da irgendwas mit meinem Selbstwert war, das sich aber völlig anders anfühlte als das, was zuvor da gewesen war. Ich konnte es allerdings nicht wirklich fassen, also ließ ich die Sache auf sich beruhen. Und jetzt, also letzte Woche, sah ich die ganze Dimension dieses Themas.
Nur der Vollständigkeit halbe merke ich an, dass dann am Mittwoch nichts von dem passiert ist, was mir der Totschläger erzählt hatte, nicht einmal ansatzweise. Die Hausverwaltung war ganz angetan von meiner netten, gemütlichen Wohnung. Der Vertrag wird natürlich verlängert, man kam mir entgegen und noch einmal entgegen. Aber, wie gesagt, es war realistischer Weise nichts anderes zu erwarten.
Nach dem Termin war der Totschläger natürlich still. Aber ich wollte mehr, ich wollte ihn besser und umfassender fühlen, weil ich merkte, dass da mehr war, als der ständige Versuch, mich niederzumachen.
Ich beschreibe einmal die Wirkungsweise dieses besonderen Aspekts. Also, er kritisiert mich, wie du schon erfahren hast. Und wenn er einmal in Aktion ist, dann wird die Kritik immer mehr und immer vernichtender. Laut ihm bin ich dann das Letzte vom Letzten, keiner Sache würdig und keiner Sache wert. Natürlich macht er mir vor, ich müsse dieses und jenes tun und dürfte dann andere Dinge keinesfalls tun. Und natürlich ist es so, dass alles, was ich tue oder täte, völlig falsch und daneben wäre, selbst dann, wenn es mir von ihm aufgetragen wurde. Und für mein Fehlverhalten wäre die härteste Strafe noch immer zu milde.
Der Totschläger meldet sich zu beliebigen Anlässen und hat viele Gesichter. Ich bin seiner Wirkung schon vor langer Zeit etwas nachgegangen und habe dabei bemerkt, dass er erst zufrieden ist, wenn ich tot bin. Nein, das ist zu wenig, er wäre erst dann zufrieden, wenn meine Existenz ausgelöscht wäre. Was natürlich nicht möglich ist. - Deshalb nenne ich diesen Aspekt Totschläger, denn er will mich wirklich auslöschen.
Wie bin ich bis vor einer Woche mit diesem Aspekt umgegangen? So, wie ich halt mit Aspekten umgehe, wenn ich sie bemerke. (Und früher oder später bemerke ich sie alle.) Sie fallen mir auf, und ich respektiere ihre Anwesenheit, ihre Existenz. Ich lehne sie nicht ab, ich fürchte mich nicht vor ihnen, ich bekämpfe sie nicht, aber ich umarme sie auch nicht. Ich gehe einfach weiter meiner Wege. Früher oder später integrieren sie sich. Sie sind dann einfach ein Teil des Orchesters meiner ganzen Persönlichkeit. Wichtig dabei ist nur, dass ich immer weiß, wer ich bin, was mein Kern ist. Also welche Stimme die meine ist, und was die Stimmen von Aspekten sind. Zum Totschläger habe ich schon ein paarmal gesagt: „Respekt! Du leistest wirklich ganze Arbeit, du bist richtig gut darin.“ Gewundert hat mich nur, dass er sich noch immer nicht integriert hatte und nach wie vor rege Aktivität zeigte. Natürlich nicht ständig und jeden Tag, aber immer wieder.
Die Antwort liegt ja eigentlich auf der Hand: ich hatte ihn schlicht und einfach noch nicht voll erkannt. Das war aber dringend notwendig.
Also gut, der erste und wichtigste Teil war die Verbindung zu meinem Selbstwert. Das war so ein, zwei Tage vor dem Termin. Am Mittwoch, dem Tag des Termins, ging ich dann der Sache weiter nach, und machte die nächste wichtige Entdeckung. Ich sah nun, dass der Totschläger auch für meine immer wieder auftretenden finanziellen Engpässe verantwortlich war. Und ich habe mich immer wieder gefragt, warum ich das tat, warum ich mir immer wieder Situationen des Mangels erschuf. Und ich hatte nie eine wirklich befriedigende Antwort gefunden. Jetzt schon. Ich sah klar und deutlich, dass es nie ums Geld ging, sondern einfach darum, mich in jeder Hinsicht klein zu halten. Und auch hier ging es dem Totschläger immer ums Ganze. Ich sollte nicht wenig oder gerade noch genug Geld haben, sondern gar keines, Null. Erst dann ist er zufrieden, denn es geht ja darum, mich auszulöschen.
Es fühlte sich alles großartig an, alles ergab einen perfekten Sinn.
Ich schaute mir den Totschläger an, ich schaute ihn mir wirklich an, wertfrei, ohne Emotionen. Und ich sah glasklar, dass er mir nicht mehr diente. Schon lange nicht mehr, aber ich hatte es nie nie so klar und deutlich gesehen. Ich sah natürlich auch, dass er mir einst diente, in früheren Inkarnationen und auch in dieser, vor meinem Erwachen. Er war tatsächlich ein nützlicher Teil meines Navigationssystems. Es gab viele Situationen, in denen es nützlich für mich war, nicht zu deutlich im Vordergrund zu stehen, wo das Kleinmachen dieses Aspekts absolut sinnvoll war. - Ja, das war, und das ist schon lange nicht mehr.
Und dann ging ich einen Schritt weiter an diesem Mittwoch. Ich hatte mir also die Arbeit des Totschlägers angeschaut, und nun fragte ich mich: „Was mache ich eigentlich? Wie antworte ich auf diese Arbeit?“ Denn das ist die Kernfrage.
Ich möchte an dieser Stelle kurz abschweifen und ganz allgemein etwas Grundsätzliches zu Aspekten sagen, falls das irgendwem noch nicht klar ist. Viele erwachende Menschen verhalten sich gerne so, als ob sie Opfer ihrer Aspekte wären. Wenn sie also so eine ähnliche Situation wie ich haben, beginnen sie, mit den Aspekten zu reden und letztlich mit ihnen zu verhandeln. Das ist Opferhaltung, und beim Verhandeln haben sie schon verloren. Sie fragen, was sie tun sollten, sie fühlen, dass ein bestimmter Aspekt scheinbar Macht über sie hätte.
Dazu möchte ich einmal klar feststellen: Aspekte können nichts erschaffen. Sie sind keine Schöpfer, sie sind keine beseelten Wesen. Du bist der Schöpfer. Aspekte flüstern dir beständig Dinge ins Ohr, manchmal schreien sie dich auch an (wie mein Totschläger). Du bist dann das Wesen, das schöpferisch tätig wird; du erschaffst dann das, wovon du glaubtest, dass es dein Aspekt erschaffen hätte. Du machst das allerdings nur dann, wenn du dem Gerede der Aspekte glaubst, was in der Regel leider der Fall ist.
Zurück zu mir und meinem Totschläger und der Kernfrage. Die hatte ich mir nämlich früher nie gestellt. Und natürlich fand ich etliche Punkte, wo ich dem Totschläger nachgebe. Ich lasse mich manchmal abspeisen mit irgendwelchen Dingen oder Aussagen, die eigentlich nicht für mich in Frage kommen. Ich weiche machen Blicken aus. Ich halte mich manchmal zurück und sage nicht, was ich wirklich will. Ich weiche manchen Menschen aus, denen ich gar nicht ausweichen will; oder ich spreche jemanden nicht an, den ich ansprechen will. Es gibt einfach viele Situationen, in denen ich mich subtil unwert fühle. Da gibt es eine gewisse Grundhaltung in mir, die es verunmöglicht, dass bestimmte, großartige Dinge in mein Leben treten.
Noch deutlicher wird es, wenn ich in einen finanziellen Engpass komme. Bereits im Vorfeld beginne ich, alles auf Sparflamme zu stellen. Weil ich nämlich dem Totschläger glaube, wenn er mir sagt, dass der Engpass anhalten wird. Ein großer Teil meiner Gedanken kreist dann um das Thema. Die Gedanken erzeugen Emotionen usw. Ich finde mich in einer Haltung wieder, die jeden Geldfluss auf Stopp stellt.
Manchmal fahren Leute einfach über mich drüber. Das heißt, sie versuchen es, denn letztlich lasse ich das nicht zu. Da bin dann doch ich, der reflexartig seinen Wert fühlt, Totschläger hin oder her. Aber im Großen und Ganzen gibt es doch ziemlich viele Punkte, in denen ich automatisch und unreflektiert auf den Totschläger höre.
Nun hatte ich also mich, den Schöpfer, der schön brav erschuf, was ihm sein besonderer Aspekt einredete.
Von Donnerstag bis Samstag war das ganze Thema zwar noch wohltuend da, trat aber deutlich in den Hintergrund. Etliche Zusammenhänge und Wirkungen waren nicht vordergründig vorhanden. Ich hatte aber das Gefühl, dass ich noch nicht fertig war. Der Knoten war noch nicht aufgelöst.
Gestern, am Sonntag, kam beim Frühstück wieder alles zum Vorschein, sanft und doch mächtig. Ich sah den Totschläger noch deutlicher, vor allem, wie er sich in meine Beziehungen einmischte bzw. einige verhinderte. (Das war natürlich nicht er, sondern ich auf sein Zurufen.) Ich sah nun also alles vor mir, und alles hatte den perfekten Sinn. Alles, was bislang nur holprig gepasst hatte, hat nun Klick gemacht. Alles passte zu allem.
Später ging ich dann spazieren und fühlte dabei alles. Ich hielt mir vor Augen, dass ich es war, der diesen Aspekt erschaffen hatte, irgendwann einmal. Das versetzte mich gleich in eine andere Position. Ich sah, dass ich damals eine enorm große Schuld verspürt haben musste. Ich musste etwas getan haben, was ich als so schrecklich und abscheulich empfunden hatte, dass mir dafür die größtmögliche Strafe noch immer als zu gering erschien. In diesem übergroßen Schuldempfinden erschuf ich den Totschläger.
In dem Augenblick, als ich diese riesige Schuld fühlte, meldete sich eine andere Stimme zu Wort, nämlich meine. Sie sagte: „Du musst dich nicht mehr schuldig fühlen, denn du hast keine Schuld.“ Sie wiederholte das ein paarmal in geringfügig anderem Wortlaut.
Und ich fühlte ein so großes und tiefes Mitgefühl mit mir, wie nur sehr selten. Ich hatte so viel Mitgefühl mit diesem schuldigen Menschen, es war so süß, ich war wie in einem Rausch. Einige Leser kennen das wahrscheinlich, diese besonderen Momente, in denen man dem Menschen vorbehaltslos so nah ist. Das erlebt man nicht jeden Tag, und es ist mit großer Liebe verbunden.
Jetzt weiß ich, warum der Totschläger noch immer da war, und warum er so brutal vorging. Ich hatte noch weit nicht alles zugelassen und entdeckt, was es für mich zu entdecken gab. Und diese Entdeckungen änderten ziemlich viel. Meine Perspektiven und inneren Haltungen haben sich verändert, wie ich später am Tag und heute bemerkt habe. Der Totschläger ist still. Er hat wohl jetzt endlich seine Arbeit beendet.