(Das ganze Kapitel. Vom 21. 9. 2010)
Wie oft habe ich diesen Satz gelesen, gehört oder ihn mir in Erinnerung gerufen? Sehr oft. Und in der Regel hat er nicht viel für mich bedeutet. Warum?
Ich bin seit ein paar Jahren sehr geübt im bewussten Fühlen. In allen möglichen und unmöglichen Situationen fühle ich in mich hinein, fühle nach, was da ist, wie es sich anfühlt. Oft nehme ich dann ganz automatisch ein paar tiefe Atemzüge, vor allem dann, wenn das Gefühl nicht so angenehm ist.
Ich lese mit meinem Gefühl, nicht nur mit meinem Verstand. Jedes Buch, jeden Text, jedes E-Mail. Wie viele Shaumbra wissen, eröffnet das wirklich eine ganz andere, viel größere Wahrnehmungsebene. Ich sehe mit meinem Gefühl fern, ich nehme die Energie in einer Wohnung, in einem Café usw. mit meinem Gefühl wahr.
Durch die viele Übung im bewussten Fühlen nehme ich feinste Nuancen wahr oder fühle eine Kleinigkeit sehr deutlich, wo andere Menschen gar nichts spüren. Vor ein paar Jahren bin ich, ohne einen Hinweis darauf irgendwo gelesen zu haben, auf die Idee gekommen, mich meiner Angst bzw. meinen Ängsten zu stellen, indem ich sie bewusst fühlte. Ich habe an manchen Stellen, u. a. in meinem letzten Buch, beschrieben, wie wirkungsvoll das war. Bereits nach einigen Sekunden war die Angst weg, sodass ich sie gar nicht in dem Umfang fühlen konnte, in dem ich wollte. Ich hatte also das denkbar Unangenehmste, meine größten und tiefsten Ängste, zugelassen und einfach gefühlt.
Was sollte ich also noch fühlen? Was sollte ich mir da noch erlauben? Der Satz „Erlaube dir, zu fühlen“ hatte nicht viel Bedeutung für mich, ich dachte, ich hätte mir schon alles erlaubt.
Ich habe mich getäuscht, und zwar nicht zu wenig. In meinem letzten Blog, in meinem Hilfeschrei, habe ich geschrieben, dass die Aufgabe meiner alten Existenz die drei letzten großen Themen voll an die Oberfläche gespült hat und dass ich keine Ahnung habe, wie ich mit ihnen umgehen soll. (Ich werde in den nächsten paar Tagen diese Themen bzw. meine Erfahrung mit ihnen in der Rubrik Erfahrungen veröffentlichen.) Was mache ich eigentlich in solchen Situationen der tiefsten Verzweiflung, der größten Ratlosigkeit und des Gefühls, völlig am Ende zu sein? Die Leser meines Buches Spirituelle Revolution wissen, dass ich sicher nicht beginne, diese Themen in irgendeiner Weise zu bearbeiten. Das habe ich früher versucht, und das führt mich nur in eine Spirale nach unten. Was tue ich also dann? Ganz einfach, ich mache nichts. Nichts zu tun bedeutet nicht, mein Leben wie bisher weiter zu leben und die Themen links liegen zu lassen. Nichts zu tun bedeutet, wirklich nichts zu tun. Nichts. Meiner Erfahrung nach eröffnet nur das absolute Nichtstun den Weg zu mir und zu einer Lösung.
(Anm.: Es ist mittlerweile ein altes Motto von mir: Wenn ich nicht weiß, was ich tun soll, tue ich nichts. Alles andere wäre nur Anstrengung. Noch dazu in eine Richtung, von der ich nicht im Geringsten weiß, ob sie passend oder richtig ist. Und Anstrengung ist sowieso generell der falsche Weg.)
Üblicher Weise habe ich mir aus einem Bedürfnis heraus auch eine zweite Art des Umgangs mit Problemen zurecht gelegt: den Selbstausdruck. Das geschieht zunächst und zuallererst in meinem Tagebuch. Dieser Selbstausdruck verschafft mir immer Klarheit, denn im Selbstausdruck gebe ich mir (= meiner Göttlichkeit) die Gelegenheit, zu sprechen. Und ich kann zuhören. Doch in diesem Fall, den ich als die größte Krise oder die schwierigste Herausforderung meines Lebens empfinde, fehlte mir bisher sogar die Kraft bzw. die Motivation, mich mit meinem Tagebuch still irgendwohin zu setzen und zu schreiben.
Blieb mir also nur das Nichtstun. In München war das schwer möglich, ich war bei einer Familie zu Gast und wollte weder meinem lieben Freund noch seiner Familie über lange Zeit den Rücken zukehren. Und ich brauche viel Zeit zum Nichtstun, vor allem, wenn ich mich so sehr getrennt fühle wie jetzt. Letzten Samstag, meinem ersten Tag in Wien, wurde ich schon ruhiger. Hier wohnt ein guter Bekannter von mir, bei dem ich ab und zu unterkommen kann. Er hat zwar mit meinen Ansichten ganz und gar nichts am Hut, aber er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der überhaupt keine Fragen stellt. Und das tut gut.
Am Sonntag habe ich endlich ganz aufgegeben. Ich versuchte nicht mehr, irgendetwas zu tun, irgendetwas erreichen zu wollen. Ich hing den ganzen Tag nur herum wie ein stinkendes Geselchtes, wie man in (Ost-)Österreich so schön sagt. Ich tat absolut nichts, außer dann und wann etwas zu essen. Ich starrte in die Luft. Völlig aufzugeben ist dasselbe wie alles anzunehmen und sich völlig hinzugeben. Es ist dasselbe. Es bedeutet, nichts mehr zu wollen, vor allem, nichts mehr steuern zu wollen, und stattdessen nur zu sein. Einfach nur zu sein.
Nun bin ich zwar in diesem Loch, in dieser tiefen Krise, in dieser Verzweiflung und fühle mich getrennt wie noch nie seit meinem Erwachen, doch ich bin schon erwacht, ich kenne meine wahre Stimme, und ich habe schon einige Übung darin, sie zu hören und zu fühlen. Wenn ich sie höre, erkenne ich sie sofort, diese Sicherheit habe ich bereits entwickelt. Mein größter Trost in einer Zeit wie dieser ist das Wissen, dass ich nur lange genug nichts tun und/oder schreiben muss, um wieder zu mir zu kommen und mich zu hören. Meine größte Sorge ist, dass das sehr lange dauern könnte und ich nicht weiß, wie ich über diese Zeit kommen soll und was sonst noch so alles in dieser Zeit passiert.
Am Sonntagabend war es soweit, ich vernahm einen ersten, zarten Ansatz meiner inneren Stimme. „Erlaube dir, zu fühlen“, sagte sie. Es war unverkennbar meine innere Stimme, denn sie fühlte sich beruhigend, erweiternd und erlösend an, wie immer. Die Frage „Was denn fühlen?“ stand nur kurz im Raum, schon nach ein paar Sekunden war mir die Antwort klar. Die anderen beiden Themen, die nicht Fülle heißen, sind sehr unangenehm und unbequem, und sie sind auch nicht Angst.
Ich dachte lange Zeit, dass ich alles Unangenehme schon zugelassen hätte, nachdem ich alle meine Ängste zugelassen hatte. Ich hatte immer umfangreicher erkannt, in welchen Situationen Angst in welch vielfältigen Gewändern auftritt. Wo fest schlafende Menschen sagen „Das ist keine Angst, das ist Risikostreuung oder Vorsorge oder Vorsicht oder Vernunft“, ist mir glasklar, dass es nur Angst ist, nett verbrämt mit Verstandesargumenten. Aber Angst ist wirklich bei weitem nicht alles. Es gibt noch eine ganze Reihe andere unangenehme, unbequeme Empfindungen, die nichts mit Angst zu tun haben, aber genauso wehtun. Scham ist zB eine solche Empfindung, die ebenso wie die Angst ihre Tentakeln in alle Lebensbereiche ausgestreckt hat. Doch auch die Scham hatte ich mir schon erlaubt, wie man an vielen meiner Beiträge erkennen kann. – Es gibt noch mehr.
Wie ich schon sagte, sind mir meine Themen nicht neu, sie waren mir auch in meiner alten Existenz gut bekannt. Jetzt sind sie bloß völlig unverdeckt, groß, sehr präsent. Jetzt kann ich ihnen beim besten Willen nicht mehr ausweichen. Und genau das tat ich früher. Wann immer ich etwas davon wahrnahm, fühlte ich nicht richtig hin, ich wich aus. In den letzten Monaten am häufigsten dadurch, dass ich Ruhe suchte, um mich, meinen Kern, mein wahres Ich zu spüren, was mich natürlich in ein Hochgefühl, in ein im wahrsten Sinn des Wortes göttliches Gefühl versetzte. Ich hatte mir eben nicht erlaubt, diese Themen zu fühlen. Ich tanzte darum herum, wich aus, stieß sie weg.
Kann Gott sich ein Problem erschaffen, indem er sich auf sich selbst besinnt? Die paradoxe Antwort lautet: Ja! Wenn ich einmal erwacht bin, also meine Göttlichkeit erkannt habe, kann ich aus ihr eine Kammer des Rückzugs machen, einen goldenen Tresor. In diesem Tresor ist es wunderschön, dieser Ort fühlt sich so richtig an, weil ich hier mich selbst, meinen Kern, meine Größe, mein strahlendes Licht wahrnehme. Und doch kann ich mich an diesem Ort verstecken. Verstecken vor etwas, das auch zu mir gehört, das auch ich ist. Die neue Erkenntnis für mich lautet also: Ich kann im Erkennen meiner Göttlichkeit die Augen verschließen. Ganz schön verblüffend. (Aber ich habe es vor ein paar Monaten schon erahnt, als ich in meinem Buch das Kapitel Göttliche Probleme schrieb. ;-) )
Also habe ich mir am Sonntagabend zum ersten Mal erlaubt, etwas zu fühlen, was ich mir zuvor nicht erlaubt hatte. Ich habe den Impuls, gleich wieder wegzugehen, überwunden. Der war aber ohnehin nur kurz und klein und schwach, da war nicht viel zu überwinden, denn ich hatte ja wieder meine wahre Stimme gehört und war sofort bereit und willens, den nächsten Schritt zu gehen. Der Akt des Fühlens fühlte sich auch mehr erlösend als unangenehm an. Das Gefühl an sich war schon sehr unangenehm, aber es zuzulassen und wahrzunehmen war befreiend und – irgendwie angenehm. Das entsprechende Thema wurde auch sofort kleiner. Ich habe nicht den Eindruck, dass es ganz weg ist, nein, wirklich nicht, das sehe ich. Aber ich habe zumindest einen Weg gefunden, damit umzugehen. Ich weiß auch nicht, ob das der einzige oder der einzig richtige Weg ist, aber es ist ein Anfang, der sich richtig anfühlt. Der Vorteil in meinem göttlichen Tresor ist, dass ich mich dort nicht ewig verstecken kann und dass dort früher oder später die Lösung zum Vorschein kommt, selbst dann, wenn ich mich gerade sehr weit entfernt von mir selbst fühle. Ich brauche nur ein bisschen Vertrauen und nur ein bisschen Geduld. Nur. ;-)
Für dieses Vorgehen, unangenehme Dinge einfach nur zu fühlen und sonst ganz und gar nichts zu tun, gibt es in meinem Leben einen Beispielfall, der mir schon oft als Standard gedient hat und auch diesmal als Standard dient. (Gelobt sei die Standard-Technologie!)
Als ich 19 Jahre alt war, begab ich mich in meine zweite fixe Beziehung. Ich hatte damals den Eindruck, meine Freundin über die Maßen zu lieben, weiß aber heute, dass ich damals schon wusste, dass das nicht Liebe war. In einer Weise war ich richtig abhängig von ihr, ohne zu wissen warum, denn diese Beziehung brachte mir, auch damals schon für mich ersichtlich, mehr Nachteile als Vorteile. Mir fiel deutlich auf, dass meine Lebensenergie, meine Lebensfreude täglich abnahmen. Ich wurde heftig ausgesaugt. Während meine Freundin immer mehr erblühte, ging es mit mir immer mehr bergab. Trotzdem sagte ich damals: „Ich bin süchtig nach dieser Frau.“ Und das war ich auch. In einer Weise war diese Beziehung absolut wundervoll, denn sie zeigte mir praktisch alle meine wesentlichen Themen mehr als deutlich. Bloß erkannte ich das damals nicht und lernte dementsprechend nichts. Nach ca. 17 Monaten machte sie Schluss mit den Worten: „Danke, dass du einen normalen Menschen aus mir gemacht hast.“ Augenblicklich fiel ich in ein tiefes, schwarzes Loch. In der Zeit nach dem Aus litt ich Höllenqualen. Die meisten Menschen kennen so etwas vermutlich, daher brauche ich es nicht näher zu beschreiben.
Das Bemerkenswerte in dieser Lebensphase war allerdings, dass ich nicht das geringste Bedürfnis danach verspürte, irgendetwas an diesen Qualen zu ändern. Im Gegenteil, ich ließ mich mit meinem ganzen Wesen voll in die Suppe des Leids hinein fallen und suhlte mich darin. In jeder offenen Wunde bohrte ich noch herum. Ich versuchte keine Sekunde lang, mich von meinem Leid durch irgendeine Aktivität abzulenken, meine Gedanken zu zerstreuen. Ich wollte nichts verdrängen, und ich wollte mich auch nicht wieder aufraffen, also meinen Schmerz irgendwie bearbeiten.
Diese Phase dauerte ziemlich genau drei Monate lang. Die Intensität meines Schmerzes ließ in diesen drei Monaten zwar leicht nach, aber nicht wesentlich. Vielmehr war es so, dass ich mich an ihn gewöhnte. Und dann geschah das Wunder. Eines Tages stand ich in der Früh auf, machte Frühstück wie immer, begann den Tag wie immer, und stellte nach ein paar Stunden fest, dass ich nicht mehr litt und bestens gelaunt war. Ich versuchte schon aus Gewohnheit, mich wieder in den Schmerz zu begeben, das übliche Salz in meine Wunden zu streuen, aber es funktionierte nicht mehr. Da wollte nichts mehr leiden, es gab keine Wunde mehr. Ich erinnere mich gut, dass ich es auch damals so empfand, dass plötzlich von einem Tag auf den anderen alles gut war. Meine Lebensfreude war wieder da, ich sprühte wieder vor Energie. Das war berauschend! Und ich war fertig mit meiner Ex-Freundin. Ich meine wirklich fertig. Ich wollte nichts mehr von ihr. Ich trug ihr nichts nach, nicht das Geringste. Weder war ich böse auf sie, noch wollte ich sie wieder. Übrig blieb einfach ein Mensch, der war, wie er war. Ich hatte noch über Jahre regen Kontakt mit ihr, daher weiß ich ganz genau, dass da nichts mehr war, in keiner Richtung.
Das ist mein Beispiel, mein Standard. Natürlich besann ich mich ab da nach jeder beendeten Beziehung auf diesen Standard. Und nun tue ich es wieder. Ich lasse mich voll hinein fallen in mein empfundenes Leid. Und ja, ich beweine mich und bemitleide mich, das gehört dazu. Ich versuche nichts zu tun, um da raus zu kommen. Im Gegenteil, ich erlaube mir, alles zu fühlen und streue noch Salz in meine Wunden. Immer wieder halte ich mir vor Augen, was ich an meiner ganzen Situation nicht verstehe, was mein Leid vergrößert. Ich weiß im Moment einfach nichts Besseres, und dieses Vorgehen fühlt sich am einfachsten und gleichzeitig am erfolgversprechendsten an. Vor allem versuche ich dabei nicht so verrückte Dinge, wie mich an den eigenen Haaren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Das wäre nämlich Lüge! Das wäre das Ignorieren und Ablehnen des Drecks. Und das bringt mich nicht weiter. Im Gegenteil, das lässt den Dreck weiter leben. Ich spüre bereits jetzt manche kurze Momente, in denen ich genug davon habe. Und sofort stoße ich mich selbst wieder hinein. Ich weiß, irgendwann habe ich dann wirklich genug davon.
Gestern litt ich wieder fleißig und still vor mich hin, mein Lichtschimmer vom Sonntag verblasste etwas. Heute erhielt ich zwei Spenden von zwei Shaumbra, die auf meinen letzten Blog mit spontaner Unterstützung reagierten. (Ich danke euch von Herzen dafür!) Die allerbeste Verwendung eines Teils davon war für mich, in mein Stammcafé zu gehen und zunächst diesen besonderen Kaffee zu genießen. Aber der Kaffee dort ist bei weitem nicht alles. In diesem Lokal fließen Energien, die für mich außerordentlich günstig sind. Dort finde ich immer wieder die Ruhe, um zu mir zu kommen. Dort habe ich meine Göttlichkeit erkannt, dort habe ich meine beiden Bücher geschrieben, dort habe ich immer wieder wunderbare, kreative Ideen. Und so war es auch heute. Ich verspürte wieder die Lust, etwas zu schreiben, und zwar gleich mehrere Dinge, die in den nächsten Tagen auf Shaumbra Österreich zu lesen sein werden. Es war fast so, wie aus einem langen, dunklen Tunnel heraus zu kommen. Dieses Café ist natürlich nicht er einzige Ort, wo ich zu mir kommen und etwas entwickeln kann, aber dort geht es immer wieder mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit. :-)
Ich möchte nicht versäumen anzumerken, dass ich nicht die geringste Ahnung habe, was ich da eigentlich tue. Aber daran habe ich mich schon gewöhnt. Wenn ich nur auf das heurige Jahr zurück blicke, sehe ich, dass ich bei allen wesentlichen Entscheidungen nicht die geringste Ahnung hatte, was ich da tat. Ich spürte nur, dass ich es tun musste. Heißt soviel wie unbedingt tun wollte. So sieht letztlich der göttliche Weg aus: Dinge zu tun, von denen der Verstand keine Ahnung hat; nicht mehr auf ihn zu hören, wenn eine tiefere Instanz etwas anderes sagt.