Aus dem Kapitel „Das Leben".
Wie oft tust du etwas, was du gar nicht wirklich willst? Wie oft tust du etwas, das du nicht tun würdest, wenn es da nicht (einen) bestimmte(n) andere(n) Menschen gäbe? Bzw. Wünsche und Erwartungen von anderen Menschen. Wie oft tust du etwas, weil du glaubst, dass es so sein müsse? Wie sehr denkst du bei deinen Entscheidungen daran, was andere brauchen, wollen, wünschen und erwarten könnten? Wenn du eine Zeit lang über diese Fragen nachdenkst, stellst du wahrscheinlich fest, dass du die meiste Zeit an andere denkst, dich von anderen steuern lässt.
Für viele Menschen beginnt dieses Spiel in der Früh. Sie stehen auf, weil sie zu einer bestimmten Zeit am Arbeitsplatz sein müssen, nicht weil sie um diese Zeit aufstehen wollen. Deshalb benutzen sie einen Wecker, denn von selbst würden sie nicht aufwachen. Am Arbeitsplatz geht es meistens den ganzen Tag um andere. Kunden, Chefs und Kollegen wollen, dass du etwas Bestimmtes tust. Wie oft entscheidest dabei du, was du jetzt tun möchtest? Es gibt nur sehr wenige Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz so frei sind, dass sie selbst bestimmen, was jetzt das Beste für sie ist. Nach der Arbeit geht es weiter. Man geht nach Hause, weil der Partner und/oder die Kinder das erwarten. Man führt Konversation, macht dieses und jenes und denkt dabei immer daran, niemanden zu verletzen, zu brüskieren oder sonst wie unangenehm zu berühren. Die meisten Menschen richten ihren Alltag nach dem Prinzip ein, Konflikte zu vermeiden. Und das betrachten sie schon als Erfolg.
Nennst du das etwa Leben?
Ich könnte ein ganzes Buch mit Beispielen füllen, wie Menschen fast ständig etwas tun, was sie nicht wollen. Ich lade dich aber ein, hier dein eigenes Buch von deinem (Über-)Leben zu schreiben, zumindest im Geist. Als Anregung kannst du dir das Kapitel „Wer oder was bestimmt dein Leben“ noch einmal durchlesen.
Wie oft tust du etwas, weil genau das dein Herzenswunsch ist? Weil du jetzt genau das tun möchtest, und nichts anderes? In den allermeisten Fällen wird die Antwort lauten: sehr selten! Wie viel Prozent deiner Zeit ist gefüllt mit Tätigkeiten deiner Herzenswünsche? Vielfach liegt das auch daran, dass die Menschen gar nicht wissen, was sie wirklich wollen. Sie wissen bestenfalls, dass sie etwas nicht wollen, wenn sie darauf stoßen. Sie nehmen sich nicht einmal die Zeit, herauszufinden, was sie wollen. Einen größeren Teil ihrer Zeit verwenden sie dafür, sich selbst einzureden, dass sie das wollen, was in ihrem Leben ist.
Nennst du das etwa Leben? Wo ist die Freude, wo der Genuss, wo die Leidenschaft? Wenn du so lebst, wessen Leben lebst du dann? Deines oder das der anderen? Ich nenne das Überleben.
Du lebst nicht, solange du dich nicht selbst an die erste Stelle stellst. Und zwar immer, bei allem, was du tust, denkst und fühlst.
Ich weiß, das ist für fast alle Menschen eine schwierige Aufgabe, obwohl es natürlich im Grunde ganz einfach ist. Die Schwierigkeit liegt darin, dass wir von einer Unzahl von Glaubenssystemen geprägt sind, die in den verschiedensten Formen besagen, dass wir zuerst auf andere achten müssen, dann erst auf uns selbst. Ja, mehr noch, wir wurden gelehrt, uns selbst an die allerletzte Stelle zu stellen. Wir sollen anderen helfen, andere glücklich machen, andere beschenken, die Bedürfnisse anderer berücksichtigen usw. usf. Ich erinnere mich, dass ich in der Volksschule gelernt habe, in einem Aufsatz keinen Satz mit Ich zu beginnen. Ein Brief darf keinesfalls mit Ich beginnen. Die Wörter Du und Sie werden groß geschrieben, ich bleibt klein. Solche Regeln machen einem kleinen Kind schon deutlich, dass es nichts wert ist. Nur die anderen sind wertvoll.
Die Religionen penetrieren dieses Prinzip bis zum Exzess. Sie nehmen dazu auch noch den unbekannten Gott zu Hilfe, der sooo groß ist. Du hingegen bist klein, du bist Staub, du bist nichts. Verherrlicht werden Märtyrer, die ihr Leben gaben um für andere da zu sein. Aber auch jenseits der Religionen wird dasselbe Spiel gespielt. Anstelle von Gott tritt die Gemeinschaft. Sie ist wichtig, für sie muss alles getan werden. Der einzelne zählt wenig. Und die Märtyrer gibt es auch hier. In der gesellschaftlichen Moral stehen Menschen, die sich für andere aufopfern und ihr letztes Hemd geben, ganz oben.
Wir finden das überall. Eltern werden dann als gute Eltern betrachtet, wenn sie niemals an sich selbst denken. Das bedeutet natürlich nicht im Geringsten, dass sie deshalb das Beste für ihre Kinder tun. So ähnlich denken wir auch über Partnerschaften. Und so ähnlich denken wir ganz allgemein. Wir sollen verzichten, wir sollen uns um das Wohl anderer kümmern. Im Gleichklang schwingt dabei die Hoffnung mit, dass wir dafür irgendwann von irgendwem belohnt werden.
In der Arbeitswelt lebt dieses Prinzip ähnlich stark wie in Religionen. Der Mitarbeiter zählt nichts, er hat für die Interessen der Firma da zu sein. In Wahrheit geht es nicht einmal um die Interessen der Firma, sondern um die Befindlichkeit irgendeines Managers. Eine Belohnung gibt es dabei bestenfalls fürs Arschkriechen, also für das restlose Verleugnen des eigenen Selbst.
Ich frage dich an dieser Stelle: Wie willst du glücklich werden, wenn du selbst immer ganz hinten stehst? Du hoffst dabei auf eine Belohnung. Du hoffst darauf, dass dich im Gegenzug andere Menschen an die erste Stelle stellen. Aber du weißt aus Erfahrung, dass das so gut wie nie passiert. Das kann es auch nicht. Denn du weißt ja mittlerweile, dass das Außen das Spiegelbild deines Inneren ist. Wenn in deinem Inneren du selbst ganz hinten stehst, tust du es auch im Außen. Vielleicht kennst du das auch aus deinem Bekanntenkreis. Es werden immer die Menschen um etwas gebeten, von denen man weiß, dass sie (fast) immer ja sagen. Andere dagegen werden nie oder sehr selten um etwas gebeten.[...]