In der ersten Zeit meines Erwachens konnte ich das Wort Mitgefühl nur schlecht fassen. Irgendwie spürte ich schon einen Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl, irgendwie aber auch nicht. Heute weiß ich, dass die Unschärfe des Begriffes zum Großteil damit zu tun hatte, dass ich Gefühl und Gefühl noch nicht unterscheiden konnte. Das liegt zum Teil daran, dass die deutsche Sprache hier unscharf ist, sie kennt für zwei verschiedene Dinge nur ein Wort.
In meinen zwei ersten Büchern habe ich über den Unterschied zwischen Gefühl und Gefühl geschrieben. Die meisten Menschen meinen Emotionen, wenn sie von Gefühlen reden. Ich nenne das in meinen Büchern Bauchgefühl, weil das Wort Emotion oft einfach nur als Fremdwort für Gefühl verstanden wird. Die Bauchgefühle sind die konditionierten Gefühle, und sie können sehr stark sein. Paradebeispiele sind hier Angst und menschliche Liebe oder Verliebtsein. Der eine Mensch empfindet Angst in einer Situation, die einen anderen völlig kalt lässt. Sie ist also an Bedingungen geknüpft, die mit den individuellen Erfahrungen des Menschen zu tun haben. Bauchgefühl nenne ich es deshalb, weil das Zentrum dieser Gefühle im Bauch liegt, dort kann man sie am stärksten und deutlichsten spüren.
Bauchgefühle stehen in direkter Wechselwirkung mit dem Verstand. Sie lösen bestimmte Gedanken aus, diese Gedanken verstärken die entsprechenden Gefühle. Angst löst Sorgen aus, die die Angst verstärken. Man kann auch mit bloßen Gedanken Bauchgefühle auslösen.
Herzgefühle sind keine Emotionen, Herzgefühle sind eine Art der Wahrnehmung, und zwar die mächtigste. Du betrittst einen Raum und nimmst bewusst wahr, wie er sich anfühlt. So fühlst du die Energien in diesem Raum. Oder du fühlst bewusst, wie sich eine Situation anfühlt, die auch fiktiv sein kann. Diese Gefühle kann man gut in der Herzgegend wahrnehmen, weshalb ich sie auch Herzgefühle nannte.
Herzgefühle sind viel leiser als Bauchgefühle, zumindest für den wenig erfahrenen Menschen. Wenn man sich darin übt, bewusst zu fühlen, werden die Herzgefühle stärker und deutlicher. Im Erwachen geht es zu einem großen Teil darum, seine Herzgefühle wahrzunehmen und ihnen zu folgen.
Beide Arten von Gefühlen können natürlich im ganzen Körper wahrgenommen werden. Mir scheint es bloß so, dass ihr Zentrum in einem Fall im Bauch und im anderen Fall im Herz liegt. Jedenfalls spreche ich immer von Herzgefühlen, wenn ich von Gefühlen spreche.
Leid ist ein Konglomerat aus Bauchgefühlen und Gedanken. Mitleid demgemäß ebenfalls. Ein Mensch leidet das mit, was ein anderer leidet. Dass dabei niemand etwas davon hat, ist eine andere Sache, darum geht es in diesem Text nicht. Mitgefühl ist etwas ganz anderes, es spielt sich nur im Reich der Herzgefühle ab. Dort, wo sich das ganze göttliche Leben abspielt.
Mitgefühl ist wahres, tiefes Verständnis.
Wenn mir ein Mensch erzählt, was er alles glaubt, nicht tun zu können, weil er meint, damit seine Eltern zu verletzen oder sie in eine unangenehme Situation zu bringen, verstehe ich sofort, was er meint und vor allem, was er gerade erlebt. Ich weiß das, weil ich es selbst erlebt habe. Ich weiß, wie sich diese Situation anfühlt, wie sich diese empfundene Unfreiheit anfühlt. Er braucht mir nicht viel zu erzählen, ich brauche keine Details wissen. Ich fühle gleich die Energie dessen, was er ausdrücken will, und fühle dann, wie es ihm geht. Ich verstehe ihn wirklich.
Wenn ich einen anderen Menschen sehe, wie er Freunde besucht und dort alles ablehnt, was ihm angeboten wird, weil er glaubt, dieser Geschenke nicht wert zu sein, verstehe ich sofort, was in ihm abläuft, welche Enge und welche Begrenzung er fühlt. Ich habe zwar diese konkrete Situation nicht erlebt, aber sehr ähnliche, wo mein Gefühl der Minderwertigkeit voll zum Tragen gekommen ist, wo ich Kleinheit, Schuld und Begrenzung empfunden habe und mich nicht traute, Geschenke anzunehmen.
Das heißt, ich muss nicht alles ganz genauso erlebt haben wie ein anderer. Es genügt, wenn es etwas Ähnliches war, das in mir genau dieselben Gefühle ausgelöst hat. Ich spüre dann diese Gefühle, wenn mir jemand etwas erzählt und ich den Zusammenhang herstellen kann. Eigentlich spüre ich sie früher, denn in der Energie seines Ausdruckes liegen die Gefühle drin.
Mitgefühl bedeutet also, dass ich mit meinen Herzgefühlen nachvollziehen kann, was ein anderer erlebt. Und erst diese Gefühle geben mir das volle Verständnis für seine Situation. Aus diesem Verständnis heraus kann ich einen Rat geben, der wiederum aus meiner 4. Ebene des Wissens kommt. Also etwas, das ich selbst er- und gelebt habe.
Wenn ich mitfühle, leide ich nicht im Geringsten. Ich empfinde keinerlei Mitleid für einen anderen Menschen. Aber ich verstehe ihn zutiefst. Für Mitleid braucht man auch die Vorstellung, für andere verantwortlich zu sein. Eine Vorstellung, die man in der Neuen Energie nicht mehr hat.
Ein Mensch, für den es nie in Frage gekommen ist, sinnlose Anweisungen der Eltern zu befolgen, und der auf seinem Weg nie Rücksicht auf die Befindlichkeit seiner Eltern genommen hat, kann nie wirklich verstehen, wie es dem Menschen im ersten Beispiel ergeht. Er kann sich das alles anhören und vielleicht in seinem Verstand irgendwie nachvollziehen, wenn er genügend Informationen bekommt, aber er versteht es nicht. Es fehlt ihm das Mitgefühl.
Bei deinem Erwachen ist es von größter Wichtigkeit, dass du in erster Linie Mitgefühl mit dir selbst hast. Das bedeutet, dass du wirklich verstehen und nachempfinden kannst, was du fühlst (hier vor allem auch deine Emotionen), wie es dir geht und warum es dir geht, wie es dir geht. Wichtig ist, dass du dich selbst dabei nicht be- oder gar verurteilst. Leider tun das fast alle Menschen mit großer Hingabe, sie sind selbst ihre heftigsten Ankläger und strengsten Richter. Widerstehe dieser Gewohnheit! Bringe ganz einfach dein größtes Verständnis für dich selbst auf, in jeder Situation. Sage dir nicht, dass du besser dieses oder jenes tun solltest oder getan haben solltest. Die Wunder folgen auf den Fuß, denn du strahlst dann etwas ganz anderes aus, was ganz andere Energien in dein Leben bringt.
Das Mitgefühl für andere Menschen ist ein Ergebnis deines Mitgefühls für dich selbst. Bemühe dich nicht, Mitgefühl für andere zu haben. Das kommt automatisch, wenn du es für dich selbst hast.
Ich verstehe heute jeden und alles, wortwörtlich. Es gibt nichts und niemand, das bzw. den ich nicht verstehe. Ich verstehe Terroristen und Straftäter genauso wie die armen Menschen, die sich selbst ständig zurücknehmen. Ich verstehe die Glücklichen und die Verzweifelten. Das war natürlich keineswegs immer so. Im Prozess meines Erwachens bin ich irgendwann auf das wahre Mitgefühl gestoßen, und das hatte eine Explosion des Verständnisses für das gesamte Leben zur Folge.
Es gibt nach wie vor Situationen, in denen ich bewerte. Wenn ich zB jemanden anschubsen will, damit er weiter voran kommt. Ich sehe, dass solche Menschen mit mir reden, weil sie diesen Anstoß haben wollen. Ich bewerte auch, wenn mich gerade jemand nervt. Wenn ich bewerte, weiß ich, was ich tue. Ich kann augenblicklich in den Modus des Mitgefühls wechseln, und dann ist jede Bewertung weg, dann ist da nurmehr dieses tiefe Verständnis. Ich kann nachvollziehen, warum dieser Mensch tut, was er tut. Und ich kann auch nachvollziehen, warum ich genervt bin.