Vielleicht musst du bei meinem heutigen Eintrag schmunzeln oder lachen. Er zeigt so schön Fallen (in diesem Fall eine Falle), die das Menschsein auch einem Erwachten stellt. Tja, das Leben hat schon einige Tricks auf Lager.
Vor ein paar Wochen hatte ich eine Auseinandersetzung mit einem Nachbarn. (Siehe Turbulenzen.) Es ist der, der links von mir wohnt. Die Wand zwischen unseren Wohnungen ist sehr durchlässig, obwohl sie nicht besonders dünn ist. Dieser Nachbar ist irgendwie fast rund um die Uhr aktiv und oft nicht besonders leise. Wenn er alleine ist, ist es meistens eher ruhig bei ihm. Aber in jener Zeit war seine Freundin schon ein paar Wochen da, und da war echter Lärm. Den ganzen Tag über und die halbe Nacht lang. Ich wurde von Tag zu Tag unruhiger deswegen.
Eines Nachts, es war eine Sonntagnacht, war um 3 Uhr noch immer Lärm. Zuvor, ca. um 2 Uhr hatte ich fest gegen die Wand geklopft, aber das brachte kaum etwas. Gut, um 3 Uhr ging ich schlafen und konnte auch einschlafen. Um 5 Uhr wurde ich munter, und in der Nachbarwohnung war noch immer Lärm. Das ging nun eindeutig zu weit. Ich war richtig wütend und habe beschlossen, meinem Nachbarn ganz klare Grenzen zu setzen, sobald ich ihm wieder begegnen würde.
Die witzige Koinzidenz war, dass Verena und ich ein oder zwei Tage davor über das Setzen von Grenzen gesprochen haben. Die Menschen können ja tun, was sie wollen. Ich habe keinerlei Bedürfnis, irgendwem vorzuschreiben, wir er sich verhalten soll. Aber wenn jemand in meinen Raum eindringt oder eindringen will, sage ich klar, dass das nicht geht. Der Nachbar ist in meinen Raum eingedrungen, mit seinem Lärm. Er wusste, dass ich das alles mehr als deutlich mitkriege, wir hatten schon über ein Jahr zuvor darüber gesprochen.
Normalerweise sehe ich meine Nachbarn äußerst selten. Doch in diesem Fall schenkte ich mir schon am nächsten Tag, am Montag, eine Begegnung mit dem Störenfried, als ich vom Einkaufen zurück kam und er gerade vor der Lifttür wartete. Ich sagte ihm sofort, dass mir sein Lärm bis sonst wohin steht und noch einige andere Sachen. Ich war richtig aufgebracht, also emotional. Es gab also zum einen die Turbulenzen, wegen derer ich so emotional war, und zum anderen das Thema Grenzen setzen. Jedenfalls wusste mein Nachbar gar nicht, wie ihm geschieht. Ich weiß aus Erfahrung, dass ich in solchen Situationen mit einer ziemlich heftigen Energie rüber komme, von der mein Gegenüber in der Regel recht überwältigt ist. – Gut, mein Grenzensetzen hat genutzt, es war in der Folge deutlich leiser.
Und jetzt kommt der lustige Teil. In den folgenden Tagen habe ich nämlich mir selbst Grenzen gesetzt. Ein Teil von mir hat gesagt: „Jetzt musst du besonders leise sein. Du darfst dir jetzt nichts zu Schulden kommen lassen, du darfst keinerlei Angriffsfläche bieten.“ Das ist natürlich total lächerlich, weil ich sowieso immer leise bin. Einfach weil ich überhaupt kein Bedürfnis habe, Lärm zu machen. Ich bin so leise, dass der besagte Nachbar monatelang geglaubt hatte, meine Wohnung wäre leer, da würde niemand wohnen. Dennoch habe ich eine Zeit lang diesem Teil von mir sein Gequatsche abgekauft und habe besonders am späten Abend und nachts peinlichst darauf geachtet, kein einziges Geräusch zu produzieren.
Nach ein paar Tagen kam es dann zum Schlüsselerlebnis. Bei mir steht der Mistkübel unter der Spüle. Die Tür unter der Spüle ist aus Metall und öffnet sich nicht wie eine normale Tür. Man muss dagegen drücken, und dann springt sie auf. Da ist ein Haken und eine Feder, die gegen die Tür drückt. Das Öffnen der Tür macht dann ein metallisches Geräusch, das in der Nacht recht laut erscheint. Wenn ich um Mitternacht und danach so ganz für mich bin, fällt oft irgendein Mist an, den ich auch gleich wegschmeiße. In den Nächten nach der Auseinandersetzung habe ich daher diese Tür offen stehen lassen, um kein Geräusch zu produzieren. So auch in jener Nacht.
Und plötzlich ist mir aufgefallen, wie blöd das war. Das war wirklich ein saublödes Verhalten, das gegen alles geht, was ich weiß und fühle. Ich öffne also die Tür zum letzten Mal für diese Nacht, lasse sie offen stehen und kriege so richtig mit, wie blöd das ist. Unmittelbar danach sagt mir ein Impuls: „Ich darf das!“ Gemeint war damit: „Ich darf so blöd sein. Das ist in Ordnung. Ich muss mich nicht an meine spirituellen Erkenntnisse halten, ich darf auch total blöd sein. Ich darf so blöd sein, wie ich will. Ich darf überhaupt alles!“
Sofort spürte ich eine große Erleichterung in mir. Und im Anschluss spürte ich ein Korsett. Ich spürte es nicht physisch an meinem Körper, es war ein energetisches Korsett. Ein Korsett aus Regeln und Verhaltensvorschriften, die ich mir selbst auferlegt hatte. Das waren keine Regeln, die die Außenwelt an mich herangetragen hatte, das waren meine eigenen.
Ein Korsett hat ja mehrere Funktionen. Es engt den Menschen ein, aber das ist nur ein Teil. Es gibt auch Halt. Und das ist der Grund, warum Menschen Korsette lieben, sie mögen den Halt – zum Preis der Einengung. In meinem Fall fällt die Funktion des Haltes weg. Ich brauche keinen Halt, weil ich mein Halt bin. Ich erlebe also bei einem Korsett nur die Einengung.
Und dann ist mir aufgefallen, dass ich mir im Lauf der letzten Jahre langsam und unbemerkt wieder ein paar Regeln verpasst hatte. Ich habe schon einmal, eigentlich mehrmals, alle Regeln fallen lassen. Das war immer sehr befreiend. Und dann kommt ein Teil des menschlichen Selbsts daher und baut langsam wieder neue Regeln auf.
Das Paradoxe daran ist, dass diese Regeln auf Erkenntnissen, also auf Weisheit, fußen. Auf Dingen, die echt und wahr sind. Aber dann kommt ein Aspekt des menschlichen Selbsts, der eben nicht weise ist, schnappt die Erkenntnisse und macht Regeln daraus, Verhaltensvorschriften, Verhaltensanweisungen. Der Verstand, der ja alles verarbeitet, was im und außerhalb des Menschen ist, bringt diese Regeln dann ins gesamte menschliche Wesen. Also lebe ich mein erwachtes Leben so vor mich hin und glaube, ich handle aus Weisheit, weil ja diese Regeln ursprünglich aus der Weisheit kommen. Bis ich wieder an ein Schlüsselerlebnis gelange, das mir zeigt, dass ich nach Regeln gehandelt habe.
Ich habe zB einmal erkannt, dass ich frei bin. Dass ich mir die Freiheit nicht erarbeiten und sie nicht anstreben, schon gar nicht erreichen kann, sondern dass ich frei bin. Von Natur aus. Ich kann nichts dazu tun, etwas zu werden, was ich schon bin. Ich kann mir so etwas nicht einreden oder vorsagen. Das heißt, ich kann schon, aber es bringt nichts. Ich musste es erkennen. Das ist im übrigen eine sehr wesentliche, ja fundamentale Erkenntnis. Und das ist wie mit der Erleuchtung, wo du erkennst, dass du die Seele bist. Nicht dass du eine Seele hast, sondern dass du sie bist, dass du Gott bist. Das kannst du dir tausend Mal vorsagen, und es bringt nichts. Du musst es erkennen.
Ich habe also erkannt, dass ich frei bin. Irgendwann später ist dann dieser lustige Aspekt meiner selbst gekommen und hat Regeln daraus gemacht. Wie zB „du darfst nichts tun, was dich einschränkt“. Mit dieser Regel bin ich an mein Schlüsselerlebnis mit dem Nachbarn gegangen und habe die Tür zum Mistkübel offen gelassen. Da ist dann zuerst die Regel gekommen und hat mir gesagt, dass das total blöd ist und mich unfrei macht. Aber dann kam „Ich darf das“. Es war die Regel, die mich unfrei machte. Regeln machen unfrei. Doch „Ich darf das“ hat die Unfreiheit aufgelöst.
Natürlich kann ich solchen Unsinn nicht ewig machen, denn dann würde mich mein einschränkendes Verhalten unfrei machen. Meine Göttlichkeit würde heftigst rebellieren. Aber diese Gefahr besteht bei mir nicht. Wichtig war meine Befreiung durch das Erkennen der Regel und meiner Erlaubnis, jeden Blödsinn machen zu dürfen.
Ca. ein Monat nach meiner Wahl des göttlichen Lebens habe ich mir selbst eine Generalerlaubnis gegeben. Denn zu wählen ist die eine Sache, ich muss mir aber auch erlauben, dass das Gewählte zu meiner Realität wird. Also habe ich mir gesagt: „Was immer dazu nötig ist, möge geschehen. Ich erlaube es.“ Und vor ein paar Wochen habe ich mir mit „Ich darf das“ die Generalabsolution gegeben.
Was ich da erlebt habe ist übrigens dasselbe, was Verena in ihrem Beitrag Wutenergie ausgedrückt hat. Der Unterschied ist nur, dass ich keinen Wutanfall gebraucht habe. Aber die Essenz ist dieselbe. Verena hat sich in ihrem Wutausbruch aufgelehnt gegen die Regeln, die in ihrem System waren. Sie hat ja auch geschrieben: „Ich will das und das tun dürfen. Ich will alles falsch machen dürfen.“ Ihr Wutausbruch hat ihr dazu verholfen, so einige Regeln wegzuwischen und sich selbst zu erlauben zu sein, wie immer sie gerade ist.
Ich sage immer wieder, dass Wut gut ist. Solange sie sich nicht gegen andere Menschen richtet, was aber erwachende Menschen überhaupt nicht befürchten müssen. Wut kommt von ganz tief innen, von einem sehr göttlichen Teil in dir. Sie weist sehr deutlich darauf hin, was in deinem Leben nicht in Ordnung ist.
Vor vielen Jahren hatte ich mehrere Wutanfälle. Nicht zuletzt habe ich meine Erleuchtung in einem Wutanfall erlebt. Später habe ich mir manchmal gewünscht, einen Wutanfall zu haben, weil es wirklich Klärungsbedarf in mir gab. Aber es ist keiner mehr gekommen. In mir gibt es eben kaum mehr etwas, wogegen ich mich wirklich auflehnen müsste. Und so konnte ich mir ganz normal sagen: „Ich darf das!“
Kommentare
Kam jetzt gerade zu rechter…
Kam jetzt gerade zu rechter Zeit. Dein Beitrag ein ituepfelchen in meinem Erleben. Dankeschön!! ❤️
(Kein Betreff)
Fundamental wichtig! Ich…
Fundamental wichtig! Ich liebe diesen Beitrag .
Ganz besonders dieser Abschnitt ist so enorm wertvoll für mich:
Genau so ist es - wie unglaublich treffend du das in Worte gepackt hast. Das hilft mir so sehr, es nochmals deutlicher wahrzunehmen, denn immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich Regeln befolge, die auf meiner Weisheit basieren. Dadurch hinterfrage ich sie nicht und halte mich dann daran. Bis ich mir dann irgendwann meiner wieder aufgestellten Regeln bewusst werde und mit einer befreienden Wutenergie entlassen kann. Das fühlt sich dann wie ein Freudenfest an. Irgendwann werden sie sich aber immer weniger anstauen, sondern sehr schnell und klar für mich erkennbar sein - dann fällt der Wutausbruch weg - freuen kann ich mich dann sicher trotzdem .
Ja, Verena, das ist in der…
Ja, Verena, das ist in der Tat eine wichtige Stelle in meinem Beitrag. Und dieser Mechanismus ist richtig fies, weil man ihn ziemlich lange nicht sieht. Der kann so einiges über den Haufen werfen und dem Menschen das Leben schwer machen.
Ich weiß auch, dass du das aus eigener Erfahrung kennst und habe schon vermutet, dass dich diese Passage anspricht.