Die Illusion des Erwachtseins

Ein Mensch im Erwachensprozess macht sich üblicher Weise ziemlich lange eine falsche Vorstellung vom Zustand des Erwachtseins, vom Leben als erwachter Mensch in der Neuen Energie. Die Vorstellung vom Erwachtsein hat sich im Lauf der Zeit öfter verändert.

In der ersten Phase gab es wahrscheinlich gar keine konkrete Vorstellung, vielleicht wusste der Mensch gar nicht, dass er sich auf dem Weg des Erwachens befand. Vielleicht stellte er sich einfach nur vor, ein einfacheres, stressfreies Leben zu führen, auf so manchen Wahnsinn der Gesellschaft zu verzichten und dabei dann wohl auch weniger Geld zu haben, da er ja nicht mehr dem schnöden Mammon hinterher jagen wollte wie zuvor.

In der zweiten Phase war ihm schon bewusst, dass er auf dem Weg des Erwachens war. Seine Vorstellung des erwachten Menschen war wohl irgendwie so in folgender Richtung: Er würde verstehen, mit Energien zu arbeiten. Er wurde wissen, was gute und was schlechte Energien seien, und er würde die guten immer zu sich holen und sich vor den schlechten schützen können. Er würde einen guten Draht zu höheren Wesen und seinem höheren Selbst haben und im Einklang mit diesen Wesen handeln. Ganz im Sinne einer höheren Ordnung. Er würde in geweihten Räumen leben und Orte und Menschen mit niedriger oder schlechter Energie meiden. Er würde sehr hoch schwingen und sich natürlich richtig ernähren oder gar auf Lichtnahrung umstellen. Er würde irgendeine Art von Heiler sein und die Welt retten wollen und können.

In die dritte Phase kommt dieser Mensch nur, wenn er gewählt hat, vollständig erwachen zu wollen. Hier ändert sich das Bild des Erwachtseins oft und grundlegend. Nach mehreren mehr oder weniger schmerzlichen Veränderungsprozessen sieht das Bild in etwa so aus: Alle Vorstellungen aus Phase 2 sind gefallen, was mitunter lange gedauert hat. Der Erwachende weiß nun, dass er niemanden heilt oder rettet. Er hat gelernt, was Eigenverantwortung ist, zumindest im Verstand. Er hat auch gelernt, dass es keine gesunde oder ungesunde Ernährung gibt, sondern dass das nur eine Frage von Glaubenssystemen ist. Er hat begonnen, sich vorwiegend oder sogar ausschließlich um sich selbst zu kümmern. Er weiß, dass dies der einzige Weg ist und dass er dadurch anderen hilft, es ihm gleich zu tun. Er weiß, zumindest im Verstand, dass er niemand geringerer als Gott ist. Dabei weiß er aber noch nicht, was dieses Göttlichsein eigentlich bedeutet, was es mit sich bringt, und er ringt darum, ein Verständnis dafür zu erlangen. Er denkt mittlerweile auch nicht mehr, dass Geld – ja Reichtum – schlecht oder sonst wie zu verachten sei und will für sich selbst mehr als genug davon haben. Er hat gelernt, das Leben als Mensch auf der Erde neu zu lieben und zu schätzen, er will jetzt das Erdendasein in vollen Zügen als erwachter Mensch genießen.

Bloß, wie stellt er sich das vor? Er denkt sich als souveränen Menschen, der keinen Regeln und Zwängen ausgesetzt ist und der keine Kompromisse machen muss, der keine Energie stiehlt und sich auch keine stehlen lässt. Er hat kein Drama mehr und lebt ausschließlich seine Freude. Dabei weiß er im Moment oft noch nicht so richtig, was denn seine größte Freude wäre. Alte Leidenschaften hat er verloren, neue zeichnen sich nicht immer so schnell ab. Aber das wird schon noch kommen. Er glaubt, als erwachter Mensch ist er ein Meister im bewussten Erschaffen, im Manifestieren. Er würde ganz einfach eine klare Absicht fassen und eine bewusste Wahl treffen können. Quasi mit einem Fingerschnippen würde er sich viel Geld erschaffen, den idealen Partner, das Traumhaus in der Traumgegend, das erfüllende Betätigungsfeld, die wundervollen Freunde, die super harmonische Beziehung zu seiner Familie, einen kerngesunden Körper, der sich sogar noch verjüngt und Ähnliches mehr. Je nach Veranlagung des Menschen wäre es in einem anderen Fall nicht viel Geld sondern ein einfaches Leben nahe an und im Einklang mit der Natur. Der erwachte Mensch hätte keine Probleme mehr, keine Themen würden sich mehr zeigen, sie wären alle abgearbeitet und aufgelöst. Er wäre nun wirklich der Standard für Fülle, Gesundheit, Selbstwert und reiche Beziehungen. Er hätte alles im Griff. Würde er krank werden, könnte er sich im Handumdrehen selbst heilen. Er würde immer die Verbundenheit zu seinem göttlichen Selbst fühlen und sich mit seiner göttlichen Macht jeden Wunsch erfüllen können.

Dieses Bild des Erwachtseins kann sich in leicht veränderten Varianten auch in den Phasen 4 und 5 halten. Doch bleibt man nicht lange in diesen Phasen, weil dieses Bild eine Illusion ist, die man loslassen muss. Also zurück in Phase 3.

Der erwachende Mensch hält an diesem Bild fest und möchte dieses Ziel erreichen. Damit jagt er einem irrealen Phantom nach und katapultiert sich damit in schmerzvolle Situationen und Phasen. Die oben skizzierte Vorstellung ist eine Illusion. Nachdem es im erwachten Zustand keine Illusionen mehr gibt, dienen die schmerzlichen Situationen und Phasen dazu, diese Illusion zu erkennen und fallen zu lassen.

Was ist nun verkehrt? Teilweise nichts. Teilweise beruht dieses Bild auf neuenergetischen Grundsätzen, aber eben nur teilweise. Souveränität, Dramafreiheit, Freiheit überhaupt, kein Nähren und Stehlen mehr, Freude und Leidenschaft, klare Absichten und bewusste Wahlen sind integrale Bestandteile und Voraussetzungen für die Neue Energie. Der ganze Rest ist pure alte Energie, die Vorstellung eines dualen Menschen von einem glücklichen dualen Menschen. Es ist das Bild einer Superraupe, die groß, glänzend und anmutig ist, schöner als die anderen Raupen, und die vielleicht sogar ansatzweise ein bisschen fliegen kann. Aber sie ist noch immer eine Raupe, kein Schmetterling.

Das skizzierte Bild ist die Vorstellung eines menschlichen Selbsts, das sich göttlicher Macht bedient, um seine menschlichen Wünsche zu erfüllen und seine menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Der vollständig erwachte Mensch hat aber kein altes, duales, menschliches Selbst! Das ist auf dem Weg gestorben. Er ist göttliches Selbst im menschlichen Körper. Er hat keine menschlichen Wünsche und Bedürfnisse, die er erfüllen und befriedigen will.

Der vollständig erwachte Mensch in der Neuen Energie wünscht sich keinen Partner, weil er keinen braucht. Er braucht keine Liebe eines anderen Menschen, weil er mehr als genug davon in sich selbst für sich selbst hat. Er ist wirklich glücklich für sich. Die Vorstellung, dass ihn ein anderer Mensch glücklich machen könnte, existiert in ihm nicht. Er lebt seine Freude aus sich selbst heraus, damit zieht er jede Energie an, die dazu nötig oder geeignet ist. Diese Energie muss er nicht erst erschaffen. In diesem Selbstverständnis trifft der erwachte Mensch auch einen Partner, wenn er dafür offen und bereit ist. Mit diesem Partner kann er noch mehr Erfahrungen machen, der Partner ist für ihn eine zusätzliche, wundervolle Bereicherung, keine Ergänzung. Der erwachte Mensch ist selbst ganz und vollständig, männlich und weiblich, er braucht keine Vereinigung mit jemand im Außen.

Der vollständig erwachte Mensch in der Neuen Energie wünscht sich kein Geld, weil er weiß, dass er bereits alles hat, um zu existieren. Gott hat keine Angst um seine Existenz! Er existiert immer und kann seiner Existenz nicht beraubt werden. Der erwachte Mensch in der Neuen Energie weiß, dass alles, was er für ein komfortables Leben in einem menschlichen Körper auf der Erde braucht, bereits da ist, dass für sein Leben gesorgt ist. Er weiß, dass er diese Dinge nicht erst erschaffen muss, sie sind bereits da. Was sollte er also wünschen? Wofür sollte er sich anstrengen?

Der vollständig erwachte Mensch in der Neuen Energie tut – soweit er aktiv ist und sich nicht gerade ausruht o. ä. – nichts anderes, als seine Leidenschaft zu leben und damit seine Freude auszudrücken. Er weiß, dass alles, was er dazu braucht, zur rechten Zeit da sein wird. Wenn zB die größte Leidenschaft des erwachten Menschen das Fliegen ist, geht er ihr ganz selbstverständlich nach. Er geht auf Flugplätze mit Flugschulen für Motor- und Segelflugzeuge, trifft dort die Menschen mit derselben Leidenschaft, kann seine Leidenschaft und Freude teilen, die Flugzeuge sehen, etwas lernen usw. Im Zuge dieses Lebens kommen ganz selbstverständlich die Mittel und Möglichkeiten zu ihm, seine Leidenschaft weiter zu leben. Zeit und Geld für die Flugstunden, die Unterrichtsmaterialien und die Prüfungsgebühren, vielleicht sogar ein eigenes Flugzeug, wenn das der Leidenschaft dienlich ist, usw. Aber der erwachte Mensch wünscht sich niemals ein Flugzeug, damit er halt ein Flugzeug hat, weil es halt nett ist und er sich damit die Zeit vertreiben kann. Und er wünscht es sich schon gar nicht als Symbol seines Reichtums und seiner unfehlbaren Schöpferkraft. Mit diesen menschlichen Motiven würde er nie ein Flugzeug bekommen.

Der vollständig erwachte Mensch in der Neuen Energie wünscht sich keine Gesundheit, weil er weiß, dass Gesundheit der Normalzustand ist und sein Körper mit jeder Art von Nahrung, teilweise sogar Gift, schlechter Luft usw. umgehen kann. Er weiß, dass in Ausnahmesituationen eine Unbalance auftreten kann und sich sein Körper selbst wieder ins Gleichgewicht bringt. Er tritt einen Schritt zurück und gibt dem Körper die Ruhe und den Abstand, den er braucht, um die Balance wieder herzustellen. Der erwachte Mensch „hört“ die Bedürfnisse seines Körpers und handelt ganz selbstverständlich danach.

Der vollständig erwachte Mensch in der Neuen Energie wünscht sich keine Freunde, um gute Freunde zu haben. Er weiß, dass er immer Menschen trifft, die das Leben seiner Leidenschaften unterstützen. Die es ihm ermöglichen, seine Freude zu teilen. Die es genießen, seinen Selbstausdruck zu hören oder zu sehen. Er weiß, dass auch die Menschen, die auf den ersten Blick wenig freundlich oder nützlich erscheinen, ein Geschenk für ihn mitgebracht haben.


Wird der Unterschied für dich langsam fühlbar? Beginnst du zu sehen, dass der Schmetterling keine Wünsche und Bedürfnisse der Raupe hat? Die Illusion des Erwachtseins beruht darauf, dass der Mensch davon ausgeht, weiterhin alte menschliche Wünsche zu haben, die er sich als erwachter Mensch mit links erfüllen kann. Die Qual mit dieser Illusion beruht darauf, dass der Mensch diese Illusion zu realisieren versucht. Was aber wirklich geschieht, ist, dass der Mensch im Erwachensprozess seine alten menschlichen Wünsche und Bedürfnisse verliert und er dabei noch nicht weiß, welche Bedürfnisse an ihre Stelle treten. Das Loslassen der Wünsche fällt dem Menschen schwer, er würde sie so gerne erfüllt sehen. Solange er nicht loslässt, erwacht er nicht und kommt nicht in die Neue Energie. Das Alte muss gehen bevor das Neue kommen kann.

Siehst du auch, um wie wenig sich der vollständig erwachte Mensch in der Neuen Energie kümmern muss? Eigentlich um gar nichts, nicht wahr? Seine Kreationen entspringen seiner Freude und dienen seiner Freude. Er muss sich niemals etwas erschaffen, was er braucht, weder zum Leben noch zum Nachgehen seiner Leidenschaften. Der erwachte Mensch braucht nichts und wünscht nichts. Das ist es, was der noch nicht vollständig erwachte Mensch nicht glauben will.

Kommentare

Mein lieber Reiner, das mit dem vollständig gestorbenen dualen Selbst - ist das nicht auch so eine Illusion, ein Bild? Es schmilzt, es ist zeitweise ganz verschwunden. Und dann wieder präsenter. Es sei denn, ich lebe allein auf einem Berg. dann hat es womöglich einfach wenig Anlass. Aber lebend so in der Realität und dem sogenannten alltäglichen Leben ist doch „nie“ ganz weg. Es verändert Dichte, Bedeutung, Frequenz und all das. Aber dieses Bild der gänzlich aufgelösten dualen Identität - Ist das nicht eigtl ein Bild der alten erleuchteten Meister, die sich dem „Normalen“ schnurstracks entzogen haben durch fluchtartiges Aufsteigen (lustig überspitzt)? Vielleicht habe ich das irgendwann (noch) weniger und weniger oder wie du kaum noch, aber dieses wegweg…?

Tja, liebe Sim (an diese Kurzform mag ich mich nicht so recht gewöhnen),

auf eine gewisse Weise stimme ich dir schon zu, auf eine gewisse Weise. Dieses Vergehen des dualitätsbasierten Selbsts ist ein langer Prozess, der noch weit bis nach der Erleuchtung andauert. Aber letztlich verschwindet es. Das Leben unter schlafenden Menschen, der Alltag usw. ist viel schöner, angenehmer und leichter im voll integrierten Selbst.
Es besteht die Gefahr, dass du die Tatsache, dass du immer wieder über dein altes Selbst stolperst, als Ausrede dafür benutzt, dass das halt so ist, immer sein wird und dass es halt eine Illusion ist, dass das alte Selbst wirklich stirbt. Und dabei bemerkst du nicht, wie du daran festhältst und es künstlich am Leben erhältst. Ich könnte da viele Geschichten von mir erzählen. wink